Frau Soler, Sie haben ein dreimonatiges Praktikum (vom 1.10. bis 21.12.1996) an der Universitätsbibliothek beinahe hinter sich. Sie sind vielen Mitarbeitern unseres Hauses mindestens vom Sehen bekannt. Darf ich Sie trotzdem bitten, sich kurz vorzustellen?
Ich heiße Marta Soler Luque und komme aus Barcelona. Ich habe sozusagen zwei Muttersprachen, denn in Barcelona spricht man ja eigentlich Katalanisch. Meine Mutter aber ist aus Andalusien, aus Sevilla, und so habe ich das Spanische auch gleich von Anfang an gelernt und nicht erst in der Schule, wie dies bei vielen Leuten der Fall ist.
Welche Sprachen sprechen oder verstehen Sie noch? Na, Englisch, aber das ist ja normal. Weniger normal ist es, in Spanien Deutsch zu lernen, meistens wird eher Französisch gewählt.
Waren Sie vor diesem Aufenthalt schon einmal in Deutschland? Nein, immer nur in Holland oder England. Aber jetzt hat es mir so gut gefallen, daß ich sicher bald wieder herkommen werde.
Uns interessiert natürlich sehr, weshalb Sie sich für ein Auslandspraktikum bei uns beworben haben. Vielleicht könnten Sie zuvor auf Ihre bisherige Ausbildung in Spanien eingehen? Das Studium der Bibliothekswissenschaft, es heißt Biblioteconomia y Documentacíon, dauert drei Jahre und umfaßt auch das Dokumentationswesen. Am Ende, nach den theoretischen Prüfungen, muß ein mindestens zweimonatiges Praktikum in einer Bibliothek abgeleistet werden, erst dann bekommt man das Diplom. Die meisten Studenten machen dieses Praktikum natürlich in Spanien, ja sogar meist in der eigenen Stadt. Ich wollte jedoch unbedingt mal einen ganz anderen Bibliotheksalltag kennenlernen und bemühte mich um ein Auslandspraktikum.
Haben Sie denn bereits in einer spanischen Bibliothek gearbeitet? Oh ja, ständig arbeitete ich während meines Studiums in verschiedenen Bibliotheken und Archiven, um mein Studium zu finanzieren. Das waren ganz verschiedene Bibliotheken, zum Beispiel die Bibliothek einer Firma, die ein wichtiger Lieferant für CD-ROM-Produkte ist. Ich habe aber auch in einer Öffentlichen Bibliothek gearbeitet und in einem Archiv bei der Herstellung einer Dokumentation zur Stadtgeschichte mitgearbeitet. Im Moment habe ich einen Arbeitsvertrag in der Bibliothek der Privatuniversität ESADE (Escuela Superiora de Adminitracíon y Direccíon de Empresas).
Und wie kamen Sie dann auf Tübingen? Nun, ein sehr guter Freund von mir ging zum Studium nach Stuttgart. Er wußte von meinem Interesse an einem Auslandspraktikum und meinte, daß Tübingen einen guten Ruf habe. Daraufhin habe ich mir im Internet nähere Informationen zu dieser Bibliothek geholt - ja, und dann eben beworben. Wissen Sie, es ging mir auch darum, eine richtig große alte Universalbibliothek kennenzulernen. Bisher habe ich immer eher in spezialisierten kleineren Bibliotheken gearbeitet.
Na, und haben sich Ihre Vorstellungen und Wünsche einigermaßen erfüllt? Ja, sehr. Ich habe mich hier sehr wohl gefühlt. Ich fand toll, daß ich praktisch in allen Abteilungen und Bereichen war. Auch dies ist ein Unterschied zu dem Praktikum in Spanien. Dort machen die Praktikanten während der ganzen Zeit nur eine ihnen zugewiesene Aufgabe, mit dem Resultat, daß sie dann sehr wenig Ahnung vom Funktionieren der gesamten Bibliothek haben. Mich faszinierte die globale Sicht, die man durch diese Art von Praktikum, wie Sie es hier anbieten, bekommt.
Wie sah hier Ihr Tagesablauf aus? Na, zunächst bin ich zwei Wochen lang zusammen mit den Referendaren, die am 1.10. glücklicherweise auch gerade ihr Praktikum begannen, in die Bibliothek eingeführt worden. Danach nahm ich am täglichen Signier- und Bibliographierdienst teil, danach eben ging es in eine Abteilung, so wie dies Herr Berger jeweils vereinbart hatte. Ich kann mir vorstellen, daß dies für die Abteilungen jeweils eine Zusatzarbeit war und ich war erstaunt darüber, wie freundlich und geduldig man sich in allen Abteilungen Zeit für mich nahm.
Wo hat es Ihnen am besten gefallen? Diese Frage möchte ich gar nicht beantworten, weil ich alle Bereiche sehr interessant fand, eben weil jeder zum Funktionieren des Ganzen beiträgt. Es ist mir überall sehr gut ergangen, und ich fand die Zeit in jeder Abteilung zu kurz bemessen.
Was aber interessiert Sie am meisten? Am meisten interessiert mich die Informationstechnologie und die Vermittlung von Information. Im Mittelalter war es schwer, überhaupt an Bücher und Informationen heranzukommen, weil diese in einem ziemlich geschlossenen Kreis blieben. Heute ist zwar die Möglichkeit zur Information offen, diese aber liegt in einer so unermeßlichen Fülle da, man könnte sagen in einem Informations-Chaos, daß nicht jeder und jede den Weg kennen kann, an die benötigte Information heranzukommen. Das ist mein Hauptinteresse, was die Bibliothekswissenschaft angeht.
Und sonst? Nun, ich studiere ja ein zweites Fach, bei mir ist es Betriebswirtschaft. In diesem Bereich interessiert mich am meisten die Organisation von 'Non-profit-Unternehmen', wozu ja Bibliotheken und Archive zählen. Möglicherweise werde ich in diesem Bereich noch weitermachen, mal sehen.
Studiert man immer ein zweites Fach, neben der Bibliothekswissenschaft? Man muß nicht, aber es ist üblich, weil man dadurch bessere Berufsaussichten hat. Die Bibliothekswissenschaft ist ein sehr gutes Fach, weil es fächerübergreifend ist, eben eine eher globale Sicht der Dinge vermittelt. Firmen und andere Organisationen stellen aber praktisch nur Leute ein, die noch ein Spezialfach studiert haben. Also, zum Beispiel jemand mit Interesse an Dokumentation studiert Informatik und Bibliothekswissenschaft, oder Betriebswirtschaft, wenn man, so wie ich, sich für Arbeitsorganisation und Management von kulturellen Einrichtungen interessiert.
Haben Sie noch andere Bibliotheken in Deutschland kennengelernt? Nicht als Praktikantin, aber als Besucherin gehe ich fast immer, wenn ich in eine Stadt reise, auch in die Bibliothek, und schaue mir - quasi 'inkognito'- an, wie es dort läuft. Ich war in Heidelberg in der UB, in Stuttgart, in München, Konstanz und noch weiteren, die mir gerade nicht einfallen. In Mainz habe ich natürlich das Gutenbergmuseum besucht. Das ist, glaube ich, eine ganz normale 'Berufskrankheit', die ich auch gar nicht heilen lassen möchte.
Gibt es sonst noch etwas, was Sie gerne sagen möchten? Nun, es hat mich gewundert, daß Sie so viel über mich erfahren wollten. Meine Laufbahn ist ja nur eine unter unzähligen anderen. Ich möchte gerne noch allgemein auf das Bibliothekswesen in Spanien eingehen. Gerade im Bibliothekswesen befinden wir uns, vielleicht mehr als das übrige Europa, in einem großen Umbruch. Wir haben viele ganz alte Bibliotheken, auch das öffentliche Bibliothekswesen ist recht alt. Daneben wird gerade sehr stark versucht, die moderne Informationstechnologie, aber auch moderne Verwaltungsmethoden einzuführen. In diesem Umbruch geht, zumindest solange er nicht vollzogen ist, auch einiges erst einmal nicht so gut.
Können Sie ein Beispiel nennen? Ja, also es gibt einen Katalogisierungsverbund, der von der Nationalbibliothek ausgeht. An ihm hängen einige Bibliotheken dran, er selbst ist aber sehr schwerfällig, so daß man sich schon überlegt, ob man das nicht regionalisieren sollte. Oder die Fernleihe: Theoretisch haben auch in Spanien die Studenten die Möglichkeit, Fernleihen aufzugeben, in der Praxis ist dies aber kaum bekannt und dadurch kaum genutzt.
Wie ist sonst das Bibliothekswesen organisiert? In Spanien gibt es ebenfalls solche alten zweischichtigen Systeme, alte Universitäten mit zahlreichen Bibliotheken und einer Hauptbibliothek, und die modernen Bibliotheken, die so ähnlich wie Konstanz organisiert sind. Für den ÖB-Bereich gibt es - zumindest in Katalonien - eine genaue gesetzliche Vorschrift, die besagt, daß eine Gemeinde einer bestimmten Größe eine soundso große Bibliothek haben muß, je nach Bevölkerung und Einzugsbereich. Die Durchführung ist bei uns schon weit fortgeschritten, wie es in den anderen Regionen Spaniens aussieht, kann ich allerdings nicht sagen. Es gibt auch einen Berufsverband der Bibliothekare, er heißt 'Colegio de Bibliotecarios y Documentalista de Barcelona'.
Warum nur Barcelona? Diese Verbände sind lokal und regional gegliedert, einen Dachverband gibt es leider nicht. Da wäre sicherlich auch noch einiges zu machen.
Vielen Dank für das Gespräch, wir freuen uns alle, daß es Ihnen bei uns so gut gefallen hat. Wir wünschen Ihnen alles Gute für Ihren weiteren Berufsweg!
Teilnehmer des Gesprächs vom 16. Dezember 1996 waren Frau Marta Soler, Herr Rainer Sattler und Frau Gabriele Zeller.
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